Der Versuch mit einem F18-Katamaran nonstop durch die Dänische Südsee zu fahren...


...nur kurz, ein Wochenende und sogar ohne Hund an Bord. Warum und wie genau haben wir in der Winterpause noch einmal für uns und alle, die sonst noch Langeweile haben, aufgeschrieben...

Der eigentliche Auslöser liegt dabei schon ein paar Jahre zurück. Es ist nämlich immer das gleiche Problem, vor dem Segler stehen, deren Budget und Zeit nur ein einziges Segelboot zulässt. Zu Beginn existieren eine realitätsferne Wunschliste verschiedenster Bootseigenschaften und der kindliche Irrglaube – da muss es doch was Passendes geben. Bereits erarbeitete Erfahrungen aus dem Bekanntenkreis werden zunächst gnadenlos ignoriert, technische Daten aller auffindbarer Boote verglichen um am Ende nach dem Ansetzen einer unvermeidbaren Budgetrestriktion bei der allgemein bekannten, aber zumindest selbst erarbeiteten, Erkenntnis zu landen: Das kleine und erschwingliche High-Performance-Touren-CE-A-Familien-Einhandboot gibt es nicht. Und exakt so, wie man es sich wünscht, wird es das auch niemals geben, danke Naturgesetze! Was einem bleibt, ist der individuelle Kompromiss oder die Wahl einer bestimmten Kernkompetenz. In unserem Fall bedeutet dies schlussendlich Comfortina 42 oder Extreme 40. Oder auch: Albin Express oder F18 - wenn man die Kleinigkeit mit dem Budget noch berücksichtigt. Also vom Prinzip eine Wahl zwischen tourentauglich oder schnell, familienfreundlich oder schnell, alltagstauglich oder schnell, sicher oder schnell, preisstabil oder schnell, trocken oder schnell – klare Faktenlage. 


Unser F18 ist ein tolles Boot, doch nach jahrelangem Auf und Ab in der Förde und den stets gleichen Regattakursen sehnt man sich immer häufiger nach der längeren Tour. Mal Strecke segeln, Urlaub machen und das ganz ohne Neopren oder Latex. Getrieben vom Wunsch immer das haben zu wollen, was einem gerade fehlt, entscheiden wir uns jedoch vor einem Bootswechsel für eine etwas genauere Betrachtung: Ist wirklich keines der beiden Boote in der Lage in der Disziplin des jeweils anderen zu Punkten? Der erste Teil war schnell abgeschlossen. Bei starken Winden haben wir mit einer Albin Express weder die 20 Knoten vor dem Wind noch etwas Zweistelliges an der Kreuz erreicht – schockierend. Der Gegentest mit der Tourentauglichkeit war dagegen schon etwas abenteuerlicher…

Anmerkung: Ein ‚Abenteuer‘ hat recht individuelle Definitionen: Ein Erlebnis, dass sich stark vom Alltag unterscheidet - schlägt Wikipedia da vor. Ein eintöniger Alltag ist also die ideale Grundlage für einen einfachen Einstieg in ein Abenteuer. Wer hingegen jedes Wochenende durch den Ärmelkanal schwimmt, macht es sich da schon selber schwer.

Die Idee mit einem offenen Katamaran eine längere Strecke zu fahren hat früher oder später jeder Kat-Segler einmal. Manch einer setzt dieses Vorhaben auch in die Tat um und ein kleiner Teil derer berichtet auch noch darüber. Je nach Risikoaffinität findet man also die verschiedensten Umsetzungen. Angefangen bei vom Verein oder einer Segelschule organisierten Gruppenfahrten, über wochenlange Einhandtouren im Mittelmeer, bis hin zur Atlantiküberquerung oder Weltumsegelung. Alles nicht miteinander zu vergleichen, aber wir haben jeden Bericht mit Freude in der segelfreien Zeit gelesen – danke dafür. 







Ein F18 wird zu zweit gesegelt. Ein wirklich passender Mitsegler sollte für eine solche Aktion eigentlich nicht überredet werden müssen – wozu also große Erklärungen.







Unser Vorhaben reiht sich da eher im unteren Bereich, der nach oben offenen Abenteuerskala ein. Aber wie bereits erwähnt kann auch der Titel „Abenteuer“ bei solch einer Aktion durchaus mit einem äußerst ereignislosen Alltag legitimiert werden. Die Grundidee unserer Fahrt ist also so übersichtlich wie auch unspektakulär. Das Boot ist wie immer ein klassenkonformer 2005er Capricorn F18, das Revier ist wie immer die Ostsee ab Kiel, Segelzeitraum ist
ein Wochenende im Sommer, wie immer. Das Besondere an dieser Tour im Vergleich zu unseren bisherigen Ausfahrten ist zugleich der Ursprungsgedanke, der gegen Ende eines jeden idyllischen Segeltages, wenn die Vorahnung des Abrüstens und des Umziehens die Stimmung der letzten Schläge trübt, erneut aufkommt: Was wäre, wenn wir jetzt einfach weitersegeln? Kein Hafen, kein Ziel, einfach weiterfahren. 
Erkenntnis: Wenn man sich wundert, warum es manche Dinge noch nicht gibt oder warum bestimmte Dinge nicht häufiger getan werden, dann hat man in den seltensten Fällen eine grandiose Idee. Vielmehr hat man, getrieben durch Euphorie und blinden Aktionismus, einfach den guten Grund übersehen.

Es ist Herbst und der Regattakalender neigt sich der norddeutschen Pizza aus Wismar zu. Der ideale Zeitpunkt um die freigewordenen Kapazitäten des Segelhobbys eben wieder mit diesem zu füllen. Erste Recherchen und ein ausführliches Interview mit Google ergeben jedoch nur wenig Auskunft über vorangegangene verwertbare Erlebnisse. Bleibt uns also nichts anderes übrig, als uns, für unsere Generation nicht ganz zeitgemäß, selbst Gedanken zu machen. Im passenden Coworking Space ‚Bierkneipe Wubke‘ und in Anwesenheit leerer Bierhumpen zeichnen nun also abwechselnd Skepsis und Selbstüberschätzung die unterschiedlichsten Routen wild in die Dänische Südsee ein. Mit ein paar Strichen ist alles erreicht – erstaunlich, wie einfach und schnell man in der bequemen Bar doch Verreisen kann. Doch wie weit kommt man eigentlich an einem Tag? Mit welcher Durchschnittsgeschwindigkeit planen wir und wo wollen wir nachts sein? Skepsis und Selbstüberschätzung einigen sich im zweiten Punkt schließlich auf 7 Knoten, beantworten somit den ersten Punkt souverän mit ca. 170 Seemeilen und stellen fest, dass, wenn der Durschnitt nur um 2 Knoten variiert, die Bereiche der Nachtstrecke schon vollkommen verschoben und damit überhaupt nicht planbar sind. Um die Nachtfahrten zumindest so kurz wie möglich zu halten, werden Zeitfenster zu den Vollmondzeiten zwischen Ende Juni und Anfang Juli festgelegt. Die Zeit zwischen den Dämmerungen liegt hier bei einem zu Grunde gelegten Zenit von 96° bei gerade einmal vier bis fünf Stunden. Mit sattem Vollmond eine durchaus entschärfte Aufgabe.


Nachdem verschiedenste Routen mit ihren Besonderheiten wie Untiefen, Fährverkehr, Windparks und lichte Höhen der Brücken recherchiert wurden, einigen wir uns darauf, die tatsächliche Route erst während der Fahrt anhand von Wetter- und Stimmungslage zu wählen. Stimmung bei Hunger und Schlafmangel lässt sich auch als Laie bereits früh und sicher prognostizieren, mit dem Wetter ist das so eine Sache. Fragt man einen Segler nach dem Wetter, gibt es wirklich immer eine Antwort. Bei der Komplexität der Meteorologie ist die Chance auf einen Treffer ja auch mit beinahe jeder Antwort möglich. Eine richtige Vorhersage wird dann mit einer präpotenten Selbstverständlichkeit hingenommen, die Falschaussage rückwirkend mit verwirrender Verwendung jüngst aufgeschnappter Wetterphänomene unlogisch erklärt. Jaja, Windfinder meldet grundsätzliche zu viel und Windguru zu wenig Wind, je nach Tagesform aber auch mal andersherum. Dem DWD sind die Segler mittlerweile egal, der Däne lügt und der Hundertjährige steigt aus dem Fenster und nimmt hoffentlich mal seinen scheiß Kalender mit. Gerade an Flautentagen wird das Wetter im Hafen zur Ersatzreligion und die Wahrscheinlichkeit einer hilfreichen Aussage entwickelt sich zum reinen Glücksspiel. Mit dieser Erkenntnis und noch reichlich Winter vor der Tür schreiben wir uns kurzerhand für einen Meteorologie-Kurs für Segler an der UNI in Kiel ein. Den restlichen Winter verbringen wir dann damit jeweils eine Stunde vor dem wöchentlichen Kurs eine Liste nach Murphys Gesetz anzulegen und diese dann schrittweise abzuarbeiten. Ebenso wichtig wie die zu dieser Liste führenden Gedankenspiele sind auch die regelmäßigen Macht-das-Sinn-Pausen, die einen davon abhalten sich in Kleinigkeiten zu verrennen. Schnell wird klar, dass bei der gemeinsamen Tourplanung von Physiker und Ingenieur die Elektronik an Bord erschreckend alberne Ausmaße annehmen kann –  keep it simple am Arsch. Angesichts der noch länger andauernden Winterpause werden daher vorsichtshalber die Macht-das-Sinn-Pausen vervielfacht und eine Budgetrestriktion für Bordelektronik angesetzt, die eine neigungsgesteuerte Notlichtautomatik leider nicht mehr abdeckt. Neben den angeklebten Leitungen und Positionslichtern wird letztlich eine einfache wasserdichte Akkuhalterung am Mast montiert. Die benötigte Kapazität für 3 Tage wird zur Sicherheit verdreifacht und mit mehreren Akkus je nach Nutzung auf Beleuchtung oder die Ladung diverser Geräte verteilt. Kopflampen und Navigationsgerät werden mit Einwegbatterien betrieben und eine gebundene Ausgabe „Unnötige Elektronik an Bord eines F18“ wird stillschweigend auf die To-Do-Liste gesetzt.



Grundlegende Veränderungen werden am Bootsdesign nicht vorgenommen. Abgesehen von der Positionslaterne, der Ausrüstung am Mann und dem Gepäck unterscheidet uns auf dem Wasser nichts von unserem üblichen Regattalayout. Bequeme Wings, Rollfock oder ein reffbares Großsegel bieten zwar eine Menge Komfort, widersprechen aber unserer Grundidee und werden somit wieder verworfen. Einzig die serienmäßigen Teile des Bootes wurden gründlich inspiziert und größtenteils erneuert. Nicht nur unserer Vernunft, sondern vielmehr der vorangegangenen Bruchsaison verdanken wir ohnehin den Austausch von Vorstag, Wanten, Trapezen, sowie sämtlichem laufenden Gut. Damit einhergehend hatten wir mit reichlich Werkzeug in der Hand auch einen erstklassigen Wiedererkennungswert auf Regatten.

Eines der wichtigsten Dinge an Bord, und da sind sich alle auf dem Wasser einig, ist eine gute Ernährung und ihr unmittelbarer Einfluss auf die Stimmung. Mit zwei Personen auf einem fünf Quadratmeter großen wasserdurchlässigen Netz, welches auch meist nur zu einer Hälfte nutzbar ist, lässt wie bereits erwähnt eine gewisse Stimmung nach mehreren Stunden der Anstrengung durchaus erahnen. Eine Tatsache, die vom Ernährungsplan vollständig aufgefangen werden sollte. Doch seit der F18-Erstanschaffung in 2008 wurde an Bord nichts anderes gegessen als Müsliriegel. Die Sorten und Hersteller wechselten hin und wieder, aber es blieben immer Müsliriegel. Verständlicherweise bestand somit der zurecht schnell verworfene Prototyp unseres Ernährungsplans ausschließlich aus diesem Wunderwerk ausgewogener Vollkost. Auch wurde kurzfristig mit dem Gedanken gespielt zwecks Minimierung der Stuhlfrequenz eine ballaststoffarme Ernährung in Form von Astronautennahrung einzunehmen, aber Juri Gagarins Speiseplan in Ehren, wir machen hier Urlaub! Auch ohne Kocher und viel Stauraum einigen wir uns auf ein brauchbares Konzept. Frühstück bildet ein Kakaodrink im Tetrapak, der oben längs aufgeschnitten und mit wasserdicht verpackten Haferflocken und Meersalz aufgefüllt wird. Mittagessen ist wahlweise eine kalte Dose Ravioli oder ein kalter Reistopf – etwas nachgesalzen und direkt aus der Dose. Abendessen besteht aus selbstgebackenem Vollkornbrot, Käsestücken und Wurst sowie einem hartgekochten Ei mit Salz. Als Zwischenmahlzeit gibt es
diverse Highlights in Form von Keksen und Schokoriegeln. Auch hier wird regelmäßig nachgesalzen. Dies ist jetzt nicht direkt unserem Ernährungsplan und der Vorstellung eines ausgeglichenen Elektrolythaushalts, wohl aber unserem Bootsdesign und der vorherrschenden Wellenhöhe geschuldet. Ab einem gewissen Wetter ist es nur schwer einen trockenen Moment an Bord zu finden und der F18 Kenner weiß, unser Bootsmodell ist besonders großzügig beim abschmecken. Zu trinken werden drei Liter Wasser pro Person und Tag eingeplant, sowie insgesamt ein Liter Saft und eine Flasche Cola. In welchem brillanten Moment absoluter Weitsichtigkeit wir genau eine Flasche Cola für zwei Personen und drei Tage eingepackt haben, wissen wir leider nicht mehr. Es muss auf jeden Fall kurz vor oder kurz nach dem Riesenglas Spreewaldgurken gewesen sein.


Am Tag der Abfahrt wurde binnen 10 Stunden alles ordentlich verpackt, beschriftet und verstaut. Auch wenn uns der Aufwand zwischendurch etwas albern erschien, so hat sich auf dem Wasser doch gezeigt, welche Vorteile ein gutes Packsystem letztendlich hat. Langes Suchen und Wühlen bringt nur unnötig viel Wasser in Rümpfe oder Drybags und gerade in der unruhigen Nacht ist es wichtig zu finden anstatt zu suchen. Einzelne Lebensmittel wurden zu Mahlzeiten gruppiert und je nach Stoßfestigkeit in eine beschriftete Tupperbox oder einen Zipbag verpackt. Flaschen und wasserdicht verpackte
Lebensmittel werden lose auf unserem Lenz-Handtuch im Rumpf gelagert, andere Lebensmittel, sowie Reisehandtuch, Fleece für die Nacht, Erste-Hilfe-Set und Ersatztechnik befinden sich jeweils einzeln in Plastiktüten verpackt in einem großen Packsack mittschiffs auf dem Trampolin. Ein weiterer Packsack im Rumpf beinhaltet eine Notgarnitur für die eventuelle Rückreise auf dem Landweg. In einem kleinen extra Packsack an Deck befindet sich alles, was aktuell gebraucht und benutzt wird, wie beispielsweise die GoPro oder eine Flasche Wasser. Ebenso bedeutend wie das Packsystem, ist uns ein festgezurrtes und aufgeräumtes Deck. Nichts soll bei einer Kenterung oder einem Stecker verrutschen und möglichst wenig sollte einen am auftauchen unter dem Trampolin im Notfall hindern. 


Die wichtigsten Gegenstände tragen wir jedoch direkt am Körper. Falsch eingehakt, Welle übersehen oder der Vorschoter übernimmt die Pinne – zu schnell ist man im Wasser und vom Boot getrennt, als dass man wichtige Dinge an Bord lagern sollte. Alles an der Schwimmweste festgebunden und so angebracht, dass man nicht daran hängen bleibt. Notmesser, Signalstab, Knicklicht, Handy, Funkgerät, Kompass, Kopflampe, GPS, AIS, und aufblasbare Fahne gehören zur persönlichen Ausrüstung und haben, auch wenn es sich anders anhört, nicht wirklich der Bewegungsfreiheit geschadet. Diverse Notleuchten verteilen sich noch am Boot, doppelte Ratchmatikführung hält den Spi, eine Schwimmleine am Achterbeam, der Rest ist Standard. 
Erkenntnis: Selbst eine dumme Idee trifft nur auf wenig Widerworte, solange man sie für sich behält. 

Diese Erkenntnis begleitet uns während der gesamten Planungs- und Packphase. Gezieltes Aufsuchen von bestimmten Seeleuten mit  Erfahrung, große Umwege um allgemeine Sehleute mit Meinung – besonders wichtig und bitte nicht verwechseln! Die Abfahrt verschiebt sich aufgrund der Wetterlage auf unser hinteres Zeitfenster, die Dunkelzeiten verlängern sich somit auf sechs Stunden. Auslaufen ist für den Nachmittag am 14. Juli geplant um die erste Nachtfahrt im Schutzbereich von Langeland zu erleben.  Einige wichtige Personen informiert, beginnen wir nach dem Ausschlafen mit dem Verstauen am Boot. So manchem Interessierten vor Ort ist unsere Aktion nur schwer vorzuenthalten. 36 Wasserflaschen für einen Nachmittagstörn machen schließlich wenig Sinn, die spätere Montage der Positionsleuchten dann gar keinen mehr. Und bei dem Gurkenglas wird es dann selbst mit der Wahrheit schwer. Für unser ehemaliges Vereinsmitglied mit der Gründungsnummer Eins schalten wir dann doch noch mal die Beleuchtung für ein Abschiedsfoto ein. 



Wie auch in der restlichen Saison, verpassen wir mal wieder knapp den Start.
Pünktlich um zwei Uhr Nachts stechen wir in See. Vorgenommen ist schließlich vorgenommen und die Unvorhersehbarkeit der Nachtstrecke wurde ja auch irgendwie eingeplant. Wie sich herausstellt, hat die Nacht doch noch einen erheblichen Vorteil. Der bis zum Abend anhaltende Seewind hat mit Sonnenuntergang überraschenderweise seinen Dienst komplett eingestellt und so haben wir, dank später Stunde, keine lachenden Zuschauer als wir voll beladen bei absoluter Flaute aus dem Hafen paddeln. Übrigens ist, anders als bei Autos, Tieferlegen bei Booten keine sonderlich wirksame Tuningmaßnahme. Erster konstanter Wind stellt sich dann am Ende der Kieler Förde ein. Spi gesetzt geht es bei mäßigem Westwind nordwestlich am Kieler Leuchtturm vorbei auf die für einen 18-Fuss-Katamaran offene See.


Der erste Teil der Überfahrt fühlt sich noch etwas unwirklich an. Auf dem Weg nach Dänemark mit einem F18 ohne Land oder Leuchtfeuer in Sicht durch die Nacht. Unser tiefer Kurs lässt uns trotz deutlich zunehmendem Wind einigermaßen trocken auf dem Luv-Rumpf sitzen. Nur selten gleichen wir unseren Kurs mit der zuvor einprogrammierten Route im GPS ab, um dann für die nächste halbe Stunde ein paar Grad die Richtung zu ändern. Kopflampen bleiben in dieser Nacht komplett ausgeschaltet, der Mond reicht wie erhofft vollkommen aus. Die stetig anwachsenden Wellen vor Langeland müssen alle einzeln ausgefahren werden und so entsteht über Stunden eine gewisse Monotonie. Obwohl wir beide noch hellwach sind, wird nur das Nötigste gesprochen, denn achtung, jetzt wird es pathetisch: Das ist wirklich ein Moment zum genießen, das bleibt im Kopf!

 


Kurz vor der Südspitze von Langeland beginnt die Dämmerung. Erstmals seit der Abfahrt geht der Spi wieder weg um im Doppeltrapez die Küste hochzufahren. Gegen 6 Uhr kommt uns schließlich die Stena Germanica entgegen und gibt uns Anlass kurz über das absurde Bild nachzudenken, welches wir von außen betrachtet zu diesem Zeitpunkt abgeben müssen. Um dieses Bild abzurunden beginnen wir kurzerhand mit dem Frühstück. 
Während einer unter Spi einen tiefen Kurs hält, kann der andere gemütlich sein Müsli zu sich nehmen. Der Löffel hat wie die Signalmittel den Status „Lebenswichtig“ erhalten und ist selbstverständlich allzeit bereit an der Rettungsweste angelascht. Auch wenn die meisten Dinge redundant geführt werden, so hat doch jeder nur einen Löffel und muss bei Verlust sämtliche Mahlzeiten als Strafe mit der Hand essen. Das romantische Sonnenaufgangsfrühstück beenden wir, während die Color Line unmittelbar vor uns ihren Kurs ändert und dem Verlauf des abknickenden Fahrwassers folgt. Perfektes Urlaubsfeeling macht sich breit bis uns der Spi beim bergen daran erinnert, dass er noch zu der Minderheit nicht erneuerter Teile am Boot gehört – die Leine zum Spannen des Vorlieks ist am Kopf ausgerissen. Die Reparatur wird zugunsten der ersten Schlafversuche zunächst verschoben. Unser ursprünglicher Plan beinhaltet nämlich abwechselnde Schlafphasen tagsüber im wellengeschützten Bereich der einzelnen Inseln. Während also einer an den ersten auslaufenden Schiffen
aus Spodsbjerg vorbeifährt, liegt der andere mit Packsack als Kopfkissen auf dem Trampolin und versucht einzuschlafen. Vermutlich sind wir noch zu aufgeregt oder einfach nur nicht müde genug um bei gegebenen Umständen abschalten zu können. Nach einer halben Stunde des Dösens brechen wir erfolglos ab. Vielleicht ist dies auch eine Gewöhnungssache, welche sich zu Hause gut trainieren lässt: Trockenanzug an, in die Badewanne legen und jemanden bitten einem in unregelmäßigen Abständen die Duschbrause kurz ins Gesicht zu halten – kalt, versteht sich.


Nach kurzer Statusmeldung zu Hause geht es dann halt mit den anderen Tagesordnungspunkten weiter. Spinnaker reparieren, Wetterdaten abfragen und weitere Route bestimmen. Da sich unser Smartphone partout nicht mit dem dänischen Netz einigen will, ist es wirklich schwer das Nervigste dieser Dinge zu benennen. Netzeinstellungen und Leine pulen bestimmen wohl oder übel die nächsten Stunden des jeweiligen Vorschoters. Wer das Glück hat in diesen Momenten an der Pinne zu sein, genießt hingegen die traumhafte Halbwindsfahrt Richtung Norden bei genialem Sommerwetter. Um 9:30 Uhr passieren wir die Storebæltsbroen im westlichen Teil und beschließen für die nächste Querung ein Maßband einzupacken. Zumindest wirkt es von unten betrachtet so, als fehlten die angegebenen 8m Platz über dem Top. Sollte es doch stimmen, so muss unsere zaghafte und stückweise Annäherung von Land aus betrachtet unfassbar dämlich ausgesehen haben. Zum Selbstschutz unseres Egos beschließen wir hiermit eine Brückenhöhe von 11m am westlichsten Teil des Westteils. Kurz hinter der Brücke beendet glücklicherweise auch das Smartphone seine Meuterei und erzählt uns was von stürmischen Winden über dem Kattegat und einschlafenden Winden hinter uns - na prächtig. Bevor die Urlaubsstimmung zu kippen beginnt, fahren wir etwas dichter unter Land um entspannt Mittag zu essen. Die Bordküche zaubert eine kleine Dose Ravioli und eine Dose Reistopf hervor. Reistopf – die Ausführungen zum geschmacklichen Erlebnis kalten Reistopfes finden nicht hier, sondern gesondert in einem Beschwerdebrief an den Hersteller Platz. Bis heute empfinde ich es als grobe Fahrlässigkeit dem Produkt einen leuchtroten Warnhinweis vorzuenthalten. Beinahe so fahrlässig wie ungetestete Lebensmittel auf eine abgeschiedene Reise mitzunehmen. 



Nach dem Mittagessen geht es bei ordentlich Wind und flachem Wasser an der Bucht von Kerteminde vorbei. Perfektes Segelwetter und wirklich schön zu fahren für denjenigen, der sich nicht zentimeterweise durch den Spi wühlen muss. Beim passieren der Insel Romsø im Nordosten von Fünen ist das Segel endlich fertig. Ab jetzt wieder im Doppeltrapez, denn während wir dem Schutz der Küste langsam entfahren, haben wir mit mehr Wind und sehr unbequemer Welle zu kämpfen. Um den 30+ Knoten Wind im Norden zu entgehen, beschließen wir spontan nur noch bis zur Insel Samsø zu fahren um uns dann nach aktueller Wetterlage einen Tourverlauf weiter südlich zu suchen. 

Die Überfahrt von Fünen fühlt sich wie eine Ewigkeit an. Ohne vorbeiziehende Landschaft und andere Boote ist ein Vorankommen kaum auszumachen. Einzige Abwechslung ist ein riesiges Schiff auf halber Strecke direkt voraus. Irritiert von der stehenden Peilung zum querliegenden Schiff, fahren wir schließlich an einem alten rostigen unbewohnt wirkenden Tanker vorbei,  der da so fernab vom Land ankernd in den Wellen liegt. Ein Musterdrehort für einen Horrorfilm – hier bitte nicht kentern! 


An der Südspitze von Samsø angekommen, beschließen wir noch weiter bis zum Hafen Ballen zu fahren um dort – tja, an der Hafeneinfahrt angekommen haben wir das leider irgendwie vergessen. Mit den Gedanken zwischen Sturm und Flaute fahren wir einige Zeit sinnlos diskutierend auf und ab bis uns plötzlich ein ankommendes Geschwader Baggerschiffe hektisch aus dem Weg hupt. Genervt von so viel Verkehr wird kurz ein kaum erkennbares Beweisfoto vom Hafen geknipst um dann schließlich den Rückweg Richtung Süden anzugehen. So ein halbes Jahr später haben wir uns darauf geeinigt, dass vermutlich der Wunsch nach einem dänischen Hotdog Anlass dieses Schlenkers war. 



Für eine landschaftliche Abwechslung, überlegen wir uns für die Rücktour Richtung Jütland zu kreuzen um von dort aus die Route über den kleinen Belt zurückzufahren. Zwischenzeitlich hat der Wind jedoch auf Südwest gedreht und so können wir den Gegenkurs des Hinwegs nur noch knapp an der Kreuz halten. Bei hoher Welle und knapp 20 Knoten passieren wir also erneut unseren Zombie-Tanker und entscheiden uns spontan die etwa 8 Stunden lange Kreuz nach Jütland unter Berücksichtigung der Bedingungen abzubrechen. Wir halten den Kurs bei und gönnen uns nach 3h Doppeltrapez, zurück in der Abdeckung von Fünen, ein gemächlicheres Tempo. So langsam kristallisiert sich auch jede vom perfekten Sitz abweichende Trapezeinstellung heraus – Pluspunkt Albin Express.


Unfähig dazuzulernen passieren wir die Storebæltsbroen auf der Rücktour noch näher unter Land. Aber vielleicht sucht man sich diese kleinen Spannungsmomente auch unbewusst um wach und fokussiert zu bleiben. Anders können wir uns auch die gewählte Abkürzung an der Insel Vresen nicht erklären, wo wir mit gezogenen Schwertern bei teilweise nur zwei Meter tiefem Wasser halbwinds durch extrem kurzwellige, brechende Wellen direkt von vorne fahren. Eine sehr ruppige und anstrengende Strecke. Endlich hinter Langeland angekommen starten wir dicht unter Land erneut einen Schlafversuch. Die erste Runde lässt trotz der 34 Stunden Schlaflosigkeit mal wieder nur tief entspanntes Dösen zu – immerhin. Nach einem Wechsel und konsequentem Fahren auf einer Kufe schafft zumindest einer von uns bei den etwas trockeneren Verhältnissen einen Powernap von 20 Minuten. So frisch erholt gibt es dann auch gleich Abendessen. Geplant und gepackt wurde ursprünglich für drei Tage. Ankunft wird aller Voraussicht nach schon deutlich früher sein; ein Umstand, dem wir eine gewisse Auswahl in der Bordküche verdanken – alles worauf wir gerade Lust haben wird also angebrochen. 





Unser GPS verrät uns, dass wir in einer Stunde an Langeland vorbei und wieder auf ungeschützter See sind. Der konstant starke Wind aus WSW lässt uns die über Tage aufgebaute Welle hinter der Huk bereits erahnen und so beschließen wir uns die restliche Zeit noch etwas zu entspannen. Positionslampen werden wieder eingeschaltet, Sicherheitsausrüstung noch einmal sortiert und zusätzliche Schichten Fleece für die Nacht untergezogen. Um kurz nach zehn gehen wir an die Kreuz Richtung Kiel.




Wie vermutet begegnen wir einer für die Ostsee ungewohnt hohen Welle. Ab jetzt sind wir wieder hellwach. Schnell wird klar, dass die Überfahrt ausschließlich im Doppeltrapez zu fahren ist und um nicht unerwartet aus dem Trapez gespült zu werden, hängen wir uns vorsichtshalber auf die maximal einstellbare Höhe. Mit unserer Bootsgröße fahren wir jetzt nicht wirklich durch die Wellen, sondern kämpfen uns regelmäßig ein Stück bergauf um dann wieder mit Schwung bergab zu fahren. Bergauf mit ausreichend Geschwindigkeit und möglichst auf einer Kufe um am Wellenberg nicht zu stoppen oder einzutauchen; bergab geht es kontrolliert mit beiden Rümpfen im Wasser um einen Stecker in der nächsten Welle zu vermeiden. 
Anmerkung: Wie die Fischgröße bei Anglern variiert die Wahrnehmung und Einschätzung von Wellenhöhen unter Seglern immer stark nach Stimmungslage, Betrachtungsperspektive und jeweiliger Zuhörerschaft. Wir sparen uns also den 15-Meter-Schnack und belassen es bei ‚subjektiv groß‘.

Mit Einsetzen der Nacht wird das Ganze dann zur Herausforderung. Der Vollmond versteckt sich dieses Mal hinter der verschlossenen Wolkendecke und nur der Schein der Positionsleuchten erlaubt uns direkt an der Bugspitze einen Blick auf die Wellen. Bei 8 Knoten Fahrt reicht dies allerdings nur für das gute Gefühl überhaupt etwas in der dunklen Nacht sehen zu können. Gefahren wird nach Gefühl und gelegentlich nach GPS. Einzig das zurückliegende und langsam verschwindende Licht des Keldsnor Fyr auf der Südspitze von Langeland bietet Orientierung. Um uns herum sind brechende Wellenkämme zu hören. Bei dem benötigten Maß an Konzentration wechseln wir alle halbe Stunde den Steuermann. Der Vorschoter behält GPS, Funkgerät und die gegen Mitte der Überfahrt auftauchenden Schiffe im Blick. Im Gegensatz zur beschaulichen Hinfahrt ist nun auch deutlich mehr Verkehr. Mit dem Wissen über unsere verhältnismäßig kurze AIS Reichweite halten wir uns im Funkbereich entlang des Kiel-Ostsee-Weges

Mit dem Leuchtturm Kiel wieder in Sichtweite, ist die Zielgerade erreicht. Wer schon mal auf ein Leuchtfeuer zugefahren ist, kennt dieses Gefühl der endlosen Reise ohne Annäherung. Zwei Stunden und diverse Ausweichmanöver später passieren wir dann endlich den Leuchtturm. Mit etwas Verzögerung folgt der Wind nun auch seiner Vorhersage und schläft innerhalb der Kieler Förde dann vollkommen ein. Im Zeitlupentempo und bei spiegelglatter See kreuzen wir nun Richtung SKS Strand. Einer, irritiert von der Masse an Lichtern entlang der Kieler Küste, an der Pinne und der andere auf dem Packsack liegend um seine kumulierte Schlafzeit auf 1:20 h zu erhöhen. Ein solches Gedümpel so kurz vor dem Ziel macht die letzte Seemeile zu einer der härtesten. Gedanklich schon längst zu Hause brauchen wir für die letzte Seemeile beinahe eine Stunde. Die letzten Meter des Ausfluges legen wir zurück wie wir ihn begonnen haben – paddelnd. Um 3:40 stehen wir dann wieder an derselben Stelle, wo wir 26 Stunden und 380 km zuvor das Land verlassen haben. 
Erkenntnis: Wie so häufig gibt es auch hier ein gutes Gefühl nur auf Kredit. Wer 26 Stunden vor dem Abbauen davonfährt ist anschließend so kaputt, dass ein konstantes Verhältnis zwischen Segelzeit und Abbauvergnügen dennoch gewahrt bleibt.
Es ist schon recht anstrengend unseren segelfertigen F18 mit 180kg Gesamtgewicht nach einem langen Segeltag wieder an den steilen Stand zu ziehen. Hier und jetzt kommen wir keinen Meter weit. Mangels Alternative tragen wir jedes Teil einzeln zum Auto, bis die gesamte Ausrüstung und beide Rümpfe vollständig ausgeräumt sind. Einzig das volle Gurkenglas verbleibt einsam bis zur Travemünder Woche im Boot. Der Katamaran liegt nach vier Stunden ausräumen wieder an seinem Platz und wir liegen nach 50 Stunden Abenteuer wieder in unseren Betten.


Was bleibt?

Ein gutes Gefühl – Das Ziel noch länger unterwegs zu sein – eine Einladung zum Segeln von Jens QuorningEin Etmal – ein verwackeltes, mit GEMA-freier Musik verschandeltes Erinnerungsvideo und ein viel zu langer Bericht – eine Erinnerung – ein Gurkenglas...

Und sonst?

Der Capricorn ist und bleibt ein gutes Boot  Es gibt nie genug Kekse an Bord – Aufgeweichte Hände trocknen wieder – so viel Welle in der Dunkelheit muss nicht noch mal sein – Kaffeeentwöhnung ist hart, aber machbar – Wochenendabenteuer sind möglich Murphy's Law hat uns dieses Mal verschont Tourentauglich wird im Kopf definiert...